Es geht auch anders – Warschau sagt: „Cat-fugees welcome!“

kätts Chefkatze Felina macht Platte
Aus Solidarität mit den Straßenkatzen – die ehemalige Streunerin und jetzige kätts Chefkatze Felina macht Platte

Ich weiß, wie es ist, auf der Flucht vor Hunger und Kälte auf der Straße zu leben. Denn ich habe dies selbst getan. Zum Glück nur einen Frühling lang, im Jahr 2008, als ich ungechippt, untätowiert und ohne Halsband, bis auf die Knochen abgemagert, mit vor Dreck starrendem verknoteten Fell und von Zecken belagert durch Bremer Gärten irrte.

Glücklicherweise in dicht besiedeltem Gebiet, sonst hätte ich bei meinen vergeblichen Versuchen, mich aus Feld und Flur zu ernähren, nach deutschem Jagdrecht auch noch als wildernd gegolten und hätte jederzeit ganz legal von Schrotkugeln durchlöchert werden können.

Bevor mir die Eltern meines jetzigen Dosenöffners zu Hilfe kamen, wollte endlose Wochen lang kein Mensch etwas mit mir zu tun haben, mir Futter oder einen Unterschlupf gewähren – kein Wunder, denn nach deutschem Recht wäre er damit das Risiko eingegangen, alle Folgekosten für tierärzliche Untersuchungen, Impfungen und eine eventuelle Kastration tragen zu müssen (dass ich bereits kastriert war, sah man mir ja nicht an).

Verwilderte Katzen und das deutsche Recht

Deutsche Städte und Gemeinden sind nur für die Annahme und Versorgung von Fundtieren zuständig, die einen Besitzer haben, nicht jedoch für herrenlose, verwilderte Katzen. Dosenöffner, die herrenlose, verwilderte Katzen füttern – was in manchen Gemeinden sogar verboten ist -, übernehmen dadurch rechtlich das Eigentum an diesen Katzen und haben alle weiteren Kosten für deren Versorgung zu tragen.

Selbst als Katze hat man sich in diesem Land mit Bürokratie und richterlichen Auslegungen herumzuschlagen …

Was sollte ein Mensch also tun, wenn er eine herrenlose, verwilderte Katze findet? Neben der Versorgung der Katze selbst ist es am wichtigsten, umgehend sicherzustellen, dass diese Katze keinen Nachwuchs mehr produziert (der dann auch wieder Nachwuchs produziert etc.). Menschen, die eine verwilderte Katze finden, sollten daher als Erstes den örtlichen Tier- oder Katzenschutzverein benachrichtigen, damit die Katze eingefangen, kastriert, ggf. ärztlich versorgt und an der Fundstelle, in ihrem Revier, wieder ausgesetzt werden kann.

Die Kastration und ärztliche Versorgung verwilderter Katzen durch Tier- und Katzenschutzvereine wird in Deutschland zum überwiegenden Teil durch Spenden finanziert. Damit diese knappen Gelder nicht noch knapper werden, ist es umso wichtiger, beim Fund einer verwilderten Katze schnellstmöglich zu handeln. Sonst sind angesichts der rasanten Vermehrungsrate eines unkastrierten Katzenpaares (Kastrationskosten ca. 160 Euro) nach einem Jahr bereits 12 Katzen (Kastrationskosten ca. 1.000 Euro), nach fünf Jahren 12.680 Katzen (Kastrationskosten ca. 1 Million Euro) und nach zehn Jahren 80 Millionen (Kastrationskosten ca. 6,4 Milliarden Euro) Katzen zu kastrieren!

(Rechenbasis: Ein Katzenpaar bekommt zweimal pro Jahr Junge, davon überleben jeweils 2,8 Katzen pro Wurf. Die Kastrationskosten wurden mit 60 Euro pro Kater und 100 Euro pro Katze veranschlagt. Das Verhältnis von weiblichen zu männlichen Tieren beträgt 1:1.)

Verwilderte Stadtkatzen: nützlich und schützenswert – nur leider nicht bei uns

Während deutsche Städte und Gemeinden es sich zur Gewohnheit gemacht haben, herrenlose Katzen als Plage zu betrachten, die Vögel mordend und Krankheiten verbreitend durch Grünanlagen vagabundieren sowie Gärten und Spielplätze verschmutzen, nimmt die polnische Hauptstadt Warschau seit zehn Jahren eine lobenswert andere Perspektive ein.

Gerade hat die Stadverwaltung von Warschau eine neue Plakat- und Flyeraktion gestartet, um – wie in jedem Herbst – an Bewohner, Besitzer und Verwalter von Gebäuden zu appellieren, verwilderten Katzen durch geöffnete Fensterluken oder Katzenklappen Zugang zu ihren Kellern zu gewähren, damit die Katzen dort im Herbst und Winter Zuflucht vor der Kälte finden können. (Mit Sicherheit eine Horrorvorstellung für die mächtige Volksgruppe der deutschen Bedenkenträger: „Was da noch alles durch die Klappe reinkommen könnte …“)

Der Katzenkeller als Winterquartier.
Klappe auf – Katze warm! Eine nachahmenswerte Initiative aus Warschau.

Statt verwilderte Hauskatzen als unerwünschte invasive Art zu diffamieren, werden herrenlose Straßenkatzen auf der Website der Stadt Warschau als fester Bestandteil des städtischen Ökosystems beschrieben, die durch ihre bloße Anwesenheit auf natürliche Art und Weise für eine deutliche Dezimierung von Mäusen und Ratten sorgen. Studien hätten gezeigt, dass beispielsweise Mäuse davor zurückschrecken, sich an Orten anzusiedeln und zu vermehren, an denen sie den Geruch von Katzen wahrnehmen.

(Ältere Dosenöffner, die das Glück hatten, die Pest zu überleben, erinnern sich vielleicht noch an die Zustände im Mittelalter, als die generalstabsmäßige Tötung von Katzen in einer explosionsartigen Vermehrung von Ratten und ihren pestverseuchten, den millionenfachen Tod bringenden Flöhen resultierte …)

Da verwilderte Katzen, die rechtlich als Wildtiere gelten, einen ausgeprägten territorialen Charakter besitzen, ist es in Warschau sogar ausdrücklich verboten, verwilderte Katzen aus ihren selbstgewählten Revieren zu vertreiben!

Doch das ist noch immer nicht alles, die Stadtverwaltung von Warschau geht noch einen bedeutenden Schritt weiter: Seit 2005 finanziert sie ganzjährig die Kastration von verwilderten Katzen, deren medizinische Versorgung und bei Bedarf sogar deren Futter – Kosten, die deutsche Städte und Gemeinden großzügigst den überwiegend durch Spenden finanzierten Katzen- und Tierschutzorganisationen überlassen.

Deutscher Streuner, go east, kann ich dazu nur sagen! (Aber pass auf, dass dich auf dem Weg dorthin kein deutscher Jäger erwischt!)